Wintervögel sind in diesem Jahr zugfaul
Die Ergebnisse der Vogelzählung "Stunde der Wintervögel" liefern den Beweis: An vielen Futterstellen ist weniger los als in den vergangenen Jahren. Doch ein Vogelsterben ist nicht zu befürchten – das Phänomen hat nach Ansicht des NABU ganz andere Gründe.

Der Stieglitz, auch Distelfink genannt, fällt mit seinem bunten Federkleid schon von Weitem auf
Viele Menschen treibt in diesem Winter die Frage um: Wo sind die Vögel geblieben? Auffallend wenige Meisen, Finken und andere Vogelarten ließen sich in den vergangenen Monaten an Futterstellen in den Gärten und Parks blicken. Dass diese Beobachtung flächendeckend zutrifft, bestätigte jetzt Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmach-Aktion, die "Stunde der Wintervögel“. Mehr als 118.000 Vogelfreunde zählten Anfang Januar eine Stunde lang die Vögel in ihrem Garten und meldeten die Beobachtungen an den NABU (Naturschutzbund Deutschland) und seinen bayerischen Partner, den Landesbund für Vogelschutz (LBV) – ein absoluter Rekordwert für Deutschland.

Gemeinsam mit der ganzen Familie wird die Vogelbeobachtung zum kleinen Wettbewerb
17 Prozent weniger Vögel in den Garten
„Die Sorge um ausbleibende Vögel hat viele Menschen beschäftigt. Und in der Tat: So wenige Vögel wie in diesem Winter hatten wir schon lange nicht mehr“, sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Insgesamt beobachteten die Teilnehmer durchschnittlich 17 Prozent weniger Tiere als in den Jahren zuvor.
Vor allem bei den häufigen Wintervögeln und Futterhausbesuchern, darunter allen Meisenarten, aber auch Kleiber und Kernbeißer, wurden die bisher niedrigsten Zahlen seit Beginn der Aktion im Jahr 2011 verzeichnet. Pro Garten ließen sich im Schnitt nur rund 34 Vögel und acht verschiedene Arten sehen – sonst liegt der Schnitt bei rund 41 Individuen aus neun Arten.
„Einige Arten hatten dieses Jahr offenbar kaum Wanderlust – was zu den teils deutlichen Rückgängen geführt haben dürfte. Das gilt vor allem für jene, die im Winter häufig Besuch von ihren Artgenossen aus dem kälteren Norden und Osten bekommen. Dazu zählen auch die meisten Meisenarten“, so Miller. Auffällig ist, dass die Rückgänge bei Meisen und Co. im Norden und Osten Deutschlands geringer sind. Richtung Südwesten hingegen nehmen sie zu. Manche Wintervögel haben wohl aufgrund des – bis zum Beginn des Zählwochenendes – noch extrem milden Winters auf halber Zugstrecke Halt gemacht.
Im Gegensatz dazu sind Arten, die im Winter von Deutschland aus teilweise nach Süden abwandern, in diesem Jahr häufiger hier geblieben. Bei Amsel, Rotkehlchen, Ringeltaube, Star und Heckenbraunelle wurden die bislang höchsten oder zweithöchsten Werte seit Beginn der Aktion ermittelt. Die Amselzahlen stiegen pro Garten durchschnittlich um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die Staren-Population nahm gar um 86 Prozent zu.
Entsprechend deutlich zeigen sich die Verschiebungen auch in der Rangliste der häufigsten Wintervögel: Hinter dem Dauer-Spitzenreiter Haussperling setzte sich die Amsel – etwas überraschend – auf Rang zwei (sonst Platz 5). Die Kohlmeise liegt erstmalig nur auf Rang drei und der Feldsperling landet zum ersten Mal noch vor der Blaumeise auf Rang vier.
Mögliche weitere Gründe für den Rückgang
Neben der geringen Zuglust könnten auch weitere Faktoren Einfluss auf die Ergebnisse gehabt haben. Nicht ausgeschlossen ist, dass viele Vögel im Frühling und Frühsommer, wegen des kühlen und regnerischen Wetters keinen Bruterfolg hatten. Ob diese Vermutung zutrifft, wird die im Mai stattfindende Schwesteraktion „Stunde der Gartenvögel“ zeigen. Dann sind Deutschlands Vogelfreunde wieder aufgerufen, eine Stunde lang die gefiederten Freunde zu zählen. Hier stehen Deutschlands Brutvögel im Fokus.

Grünfinken-Sterben hinterlässt Spuren
Die Ergebnisse der Wintervogelzählung zeigen auch, dass das unter Amseln grassierende Usutu-Virus keine Auswirkungen auf den Gesamtbestand der Art hatte. Anhand der Meldungen lassen sich die diesjährigen Ausbruchsgebiete – vor allem am Niederrhein – zwar deutlich erkennen, hier sind die Amselzahlen deutlich niedriger als andernorts. Doch insgesamt gehört die Amsel zu den Gewinnern der diesjährigen Zählung.
Besorgniserregend ist hingegen die anhaltende Talfahrt der Grünfinken. Nach einem erneuten Rückgang um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und über 60 Prozent gegenüber 2011 ist der Grünfink erstmals nicht mehr der sechsthäufigste Wintervogel in Deutschland. Er rangiert nunmehr auf Rang acht. Grund hierfür ist vermutlich das durch einen Parasiten hervorgerufene sogenannte Grünfinken-Sterben (Trichomoniasis), das seit 2009 vor allem an sommerlichen Futterstellen auftritt.
Aufgrund der Zählergebnisse hatte sich in der Öffentlichkeit zuletzt eine rege Diskussion um die Gründe für die außergewöhnlich geringe Zahl an Wintervögeln entfacht. Nicht selten vermuteten Beobachter die Ursache bei Katzen, Rabenvögeln oder Greifvögeln. „Diese Thesen können nicht stimmen, da keiner dieser potenziellen Fressfeinde im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen hat. Außerdem muss der Grund einer sein, der speziell in diesem Jahr eine Rolle gespielt hat – und keiner, der immer da ist. Unsere Analyse hat sogar gezeigt: In Gärten mit Katzen oder Elstern werden gleichzeitig mehr andere Vögel beobachtet. Das Auftreten potenzieller Fressfeinde führt also keineswegs zum sofortigen Verschwinden von Vogelarten“, so Miller.