Wildtriebe
Wenn der violette Edelflieder plötzlich weiße Blüten treibt, haben sich offenbar Wildtriebe eingeschlichen. Daran erkennen Sie Wildtriebe und so entfernen Sie sie richtig.
Wenn die Edelrose plötzlich zweifarbig blüht oder am Mandelbaum Pflaumen wachsen, fragt sich der Gärtner zu Recht, ob er seinen Augen trauen kann. Doch derartige Phänomene kommen im Gartenbau häufiger vor, als man meinen möchte. Verursacht werden solche wundersamen Erscheinungen durch die Art, wie Pflanzen in den Baumschulen und Züchtungsbetrieben veredelt werden.
Die Veredelung als Ursache
Bei der Veredelung von Pflanzen, seien es nun Rosen oder andere Gehölze, werden zwei Pflanzen miteinander verbunden. Dies geschieht entweder durch Pfropfen oder durch Okulieren. Bei beiden Methoden werden schöne oder ertragreiche, aber schwachwüchsige Zuchtpflanzen auf eine wilde Unterlage aufgebracht. Die sogenannte Wurzelunterlage besteht meist aus einer Wildsorte (bei Rosen zum Beispiel die Hundsrose), da diese in der Regel gesünder, wüchsiger und robuster ist als die Edelsorten. Auf diese Unterlage wird die Edelsorte mehr oder weniger "aufgesteckt". Sie verbindet sich mit der Unterlage und bildet nach einigen Jahren eine neue Pflanze, welche die Vorteile beider Sorten zeigt, zum Beispiel Resistenz gegen Krankheiten und zugleich schöne, große Blüten.

Die Veredelungsstelle erkennt man meist an einer leichten Krümmung oder Verdickung im Stamm
Wie entstehen Wildtriebe?
Nun kann es vorkommen, dass die Wüchsigkeit der Unterlage nicht nur positive Auswirkungen hat, sondern auch unerwünschte. Sogenannte Wildtriebe entstehen, wenn die Wurzelunterlage – durch die Veredelung ihrer Krone beraubt – von unten her erneut durchtreibt. Diese wilden Triebe unterscheiden sich in Form und Aussehen von der Edelsorte, sodass sie meist leicht zu erkennen sind. Das Problem: Durch ihre besseren Wuchseigenschaften können die Wildtriebe an einer Pflanze die aufgepfropfte Edelsorte innerhalb sehr kurzer Zeit vollständig überwuchern. Nach wenigen Jahren stirbt die teure Edelsorte ab. Was bleibt, ist die Wildform in ihrer ursprünglichen Gestalt.

Unten gelb, oben rot: Die gelben Blüten zeigen die Wildtriebe an, welche aus der Wurzelunterlage sprießen
Wildtriebe erkennen
Um zu verhindern, dass die Wurzelunterlage bei veredelten Pflanzen durchkommt, müssen Wildtriebe möglichst zeitnah entfernt werden. Besonders bei Rosen und Pfingstrosen sollten Sie deshalb regelmäßig prüfen, ob sich zwischen die Edelreiser Triebe der Wildform eingeschlichen haben. Bei Rosen erkennen Sie Wildtriebe an der deutlich geringeren Blattgröße und veränderten Blattform sowie an der typischen einfachen weißen bis rosaroten Blüte der Wildrosen. An Flieder entdeckt man die Wildtriebe ebenfalls am besten zur Blütezeit, wenn der Edelflieder plötzlich an manchen Stellen weiß blüht. Gleiches gilt für Rhododendren.
Zwar mag einem das Schauspiel eines zweifarbigen Flieders eine Weile Spaß machen, doch hat die Wildform erst einmal Fahrt aufgenommen, wird sie die Edelsorte schnell vollständig verdrängen. Bei Bäumen liegen die Veredelungsstellen manchmal relativ hoch (etwa zwei Meter), daher ist in dem Fall jeder Trieb, der aus dem Stamm entspringt ein Wildtrieb (ebenso bei Hochstämmchen). Bei Korkenzieher-Haseln sind die Wildtriebe ganz einfach zu erkennen. Hier wachsen statt der quirlig gedrehten Zweige schnurgerade Ruten aus dem Boden.

Bei Hochstämmchen sind alle Triebe, die entlang des Stamms entspringen, Wildtriebe
Wildtriebe entfernen
Um Wildtriebe möglichst dauerhaft zu entfernen, greift man hier auf eine Methode zurück, die man üblicherweise an Rosen und Gehölzen nicht anwenden sollte: das Ausreißen. Entfernen Sie Wildtriebe immer so nah am Stamm, wie irgend möglich. Dazu werden am besten solche Triebe, die jünger als ein Jahr sind, gegen die Wuchsrichtung vom Stamm abgerissen. Schneiden Sie zuvor die Rinde am unteren Ende der Ansatzstelle mit einem scharfen Messer ein, um zu verhindern, dass beim Riss die Rinde mit verletzt wird. Alternativ können Sie den Trieb auch abschneiden oder -sägen. Achten Sie in dem Fall darauf, den gesamten Astring mit auszuschneiden, da dieser sonst in kürzester Zeit frische Augen bildet und erneut austreibt.
Bei Rosen und Pfingstrosen befindet sich die Veredelungsstelle etwa 5 bis 15 Zentimeter unter der Erde. Hier muss der Ansatz des Wildtriebs ausfindig gemacht und ausgegraben werden. Mit einem scharfen Messer entfernen Sie nun den Wildtrieb so nah an der Wurzel wie möglich. Achtung: Wildtriebe können an veredelten Pflanzen immer und jederzeit auftreten – nach einem Jahr ebenso wie nach zwanzig Jahren. Kontrollieren Sie veredelte Pflanzen daher regelmäßig auf Wildtriebe, da sie am einfachsten und effektivsten bekämpft werden können, wenn sie noch jung sind.